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In: Heilpädagogische Forschung, Nr. 1 Jahrgang 2001

Christian Janßen & Ilona Begemann (1998). "Hier mach' ich das jetzt alles alleine...". Die SIVUS-Methode im Wohnheim. Bielefeld: Bethel-Verlag. EURO 6,40.

"Hier mach' ich das jetzt alles alleine..." - eine selbstbewusste Äußerung, vor allem, wenn sie von einem Menschen mit geistiger Behinderung in einem Wohnheim kommt. Das Zitat haben die Herausgeber des 53. Bands der "Bethel Beiträge" zum Titel ihres Erfahrungsberichtes gemacht. Geschildert wird darin die vierjährige Arbeit im Bereich Behindertenhilfe I in Eckardtsheim, einem Wohngruppenverbund der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel mit insgesamt 56 Plätzen. Christian Janßen und Ilona Begemann haben den instruktiven Bericht großenteils selbst verfasst und sind selbst als Diplompsychologen in den beschriebenen Einrichtungen tätig. SIVUS steht für schwedisch "Soziale und individuelle Entwicklung durch gemeinschaftliches Handeln". Es umfasst Zielsetzungen, eine gruppendynamische Arbeitsweise und Methode sowie eine Rollenbeschreibung für das Personal, ausgehend von einem klar ausgearbeiteten Menschenbild bzw. Paradigma. Das in den 70-er Jahren von dem schwedischen Psychologen Sophian Walujo entwickelte praxisorientierte Konzept wurde in Schweden als fachliche Grundausbildung für das gesamte Personal in der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen eingeführt und seither erfolgreich weiterentwickelt. Eine verstärkte Qualitätssicherung findet dort derzeit auf der Basis von SIVUS statt. Über 250 Einrichtungen in vielen Ländern orientieren sich in ihrer Arbeit an dem Konzept. Janßen und Begemann beschreiben Hintergrund und Grundlagen des SIVUS-Konzeptes knapp, aber hinreichend zum Verständnis der Umsetzungsprozesse in Eckardtsheim, die den Schwerpunkt des Inhaltes ausmachen - Literatur mit umfassenderen Informationen zu SIVUS findet sich im Anhang verzeichnet. Außerordentlich aufschlussreich ist der Vergleich zwischen den unterschiedlichen Rahmenbedingungen, unter denen das Konzept in Eckardtsheim eingeführt wurde: einerseits im Zuge eines konzeptionellen Neubeginns, andererseits in bestehende Mitarbeiter- und Arbeitsstrukturen. Detailliert herausgearbeitet, machen die jeweiligen Faktoren in den beiden Arbeitsbereichen nachvollziehbar, welche Hürden, aber auch Chancen auf dem Weg zu einer Neuorientierung liegen. Wo immer Einrichtungen eine solche Neuorientierung versuchen wollen, hier finden sich nützliche Hinweise für die Übersetzung in die eigene Praxis, wenn auch eine "maßstabsgetreue" Übertragung nie möglich sein wird. Im Grundsatz übertragbar sind jedoch sicherlich Teile des Resümees. So hat die Arbeit in Eckardtsheim gezeigt: Auch Einrichtungen mit traditionellem geprägtem Hintergrund können SIVUS mit Gewinn anwenden. Klarerweise stellen sie sich anderen Herausforderungen - und müssen entsprechend modifizierte Strategien wählen - als Arbeitsbereiche, welche von Grund auf neu nach SIVUS arbeiten. Entscheidende Klippen sind in jedem Fall die Bereitschaft des Personals, sich auf Lernprozesse einzulassen, die auch vor persönlichen Mustern nicht Halt machen, und die Unterstützung seitens der Leitungsebene. SIVUS setzt dies voraus; zumindest entfaltet sich das konzeptionelle Potenzial in vollem Umfang sicher nicht dort, wo Einzelkämpfer in furchterregenden Hierarchien versuchen, etwas "besser zu machen". Das Buch aus Bethel dürfte denn auch eher mit einem Seitenblick auf die Zielgruppe der Verantwortlichen in den Trägern und Einrichtungsleitungen angelegt sein. Ihnen sind die Einschätzungen von zwei Einrichtungsleitern und einer Bereichsleiterin ans Herz zu legen. Das SIVUS-Konzept schneidet dabei unter dem Strich gut ab. Hier fällt auch das relativ neue Wunderwort "Qualitätssicherung". Der zur Legitimierung der eigenen Arbeit nach außen (sprich vor allem: nach oben) gern verwendete Begriff und die dahinter steckenden Instrumente stehen zunehmend im Mittelpunkt des Nachweises sinnvoller - und somit förderungswürdiger! - Tätigkeit. Intellektuell redlich angewandt, ist Qualitätssicherung aber durchaus viel mehr als gute PR: Sie kann das Personal motivieren, die Vergeudung materieller Ressourcen von Einrichtungen verringern und nicht zuletzt Lebensqualität und Entwicklungschancen der Zielgruppe entscheidend verbessern. SIVUS, so argumentieren die Autoren plausibel, ist nicht nur ein Beitrag dazu und als Konzept mit bestehenden Qualitätssicherungssystemen kompatibel. Indirekt deutlich wird auch, dass Elemente der Qualitätssicherung bereits in SIVUS enthalten sind. Aus institutioneller Sicht sind diese Gesichtspunkte geradezu überlebenswichtig. Und es ist anzunehmen, dass Argumentationen auf dieser Ebene in kritischen Situationen eher verfangen als solche, die eher ethisch fundiert sind. Worum geht es dabei? Um Menschenrechte der Betroffenen, um ein humanistisches Menschenbild, das die immer noch vielfach vorherrschende Betreuungs- und Sorgenkindmentalität radikal in Frage stellt, um die tatsächlich ganz erstaunlichen Entwicklungspotenziale z.B. von Menschen mit geistiger Behinderung... Janßen und Begemann erwähnen dies alles, ihr eigentlicher Gegenstand ist es jedoch in diesem Buch nicht. Dabei könnten etwa die vielen schwedischen Modelle (die dort längst "Regeleinrichtungen" sind, aber auf einem Niveau, das mancher Träger hierzulande ins Reich der Fabel verweisen würde) ebenso wirksam für die Durchsetzung einer "best practice" werben wie der strukturbezogene Nachweis, dass SIVUS in Einrichtungen erfolgreich einsetzbar ist. Doch vielleicht ist "Hier mach' ich das jetzt alles alleine..." auch so schon für die Teams, Leiter und Träger, an die sich das Buch wendet, erstaunlich genug, um Anstöße zur Veränderungsbereitschaft zu geben.

Autor der Rezension: Michael Praschma

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