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Das Verständnis von geistiger Behinderung als Aneignungsweise unter isolierenden Bedingungen
Nach dem Verständnis Wolfgang Jantzens´ (1987, 1990a, 1993, 1998) ist
geistige Behinderung Ausdruck menschlicher Subjektlogik, die nicht außerhalb menschlicher Existenz zu denken ist, sondern nur als Ausdruck menschlichen Seins in "historisch-gesellschaftlichen Kontexten" (Jantzen, 1993, S.182). Geistige Behinderung ist danach als veränderte Aneignungsweise und
Verwirklichungsweise von Sinn und Bedeutung in der Gesellschaft zu verstehen. Aus Sicht der normalen Gesellschaft bedeutet "geistig behindert sein" über "weniger Bedeutungen zu verfügen, d.h. bisher
weniger bzw. andere Bedeutungen als andere angeeignet zu haben. Geistige Behinderung ist also ein Problem der Aneignung unter Bedingungen, die Aneignung erschweren" (ebenda). Jantzen überschreibt diesen
Zustand erschwerter Aneignungsbedingungen mit Isolation (Jantzen, 1987, 1990c). Unter Isolationsbedingungen werden einem Individuum Bedingungen vorenthalten, "die die Auseinandersetzung zwischen ihm und seiner
Umwelt, seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten angemessen gestalten könnten. Sein Abbild der Umwelt, seine emotionale Beziehung zu ihr und seine Persönlichkeitsentwicklung sind dann im wesentlichen als Resultat der
isolierenden Bedingungen zu betrachten und nicht allein durch die körperliche Schädigung determiniert. (...) Verhaltensauffälligkeiten (...) sind unter isolierenden Bedingungen entwicklungslogisch und erscheinen
erst im Bezug auf die gesellschaftliche Normalität als auffällig. Folgt man dieser Argumentation, dann sollten nicht die körperlichen Störungen, sondern die isolierenden Lebensbedingungen Geistigbehinderter in fast
allen Lebensbereichen (...) zu Ausgangspunkten für die Überwindung geistiger Behinderung gemacht werden" (Busch & Mannhaupt, 1994, S. 257). "Sowohl institutionelle Aussonderung als auch falsch verstandene Integration, d.h. Öffnung der Institutionen und Auslieferung der Behinderten an die Realität, ohne adäquate Unterstützung sind nach Jantzen (1987) massive Isolationsbedingungen" (ebenda).
Die begleitenden Mitarbeiterinnen sollten sich dieses Verständnisses von geistiger Behinderung bewusst sein und sich ihm in ihrem Handlungsspektrum konstruktiv bedienen. Eine Möglichkeit dazu bietet Vygotskij´s
Konzept der "Zone der nächsten Entwicklung" (Vygotskij, 1987; Jantzen, 1990b).
Siehe auch: Geistige Behinderung
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