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Der folgende Text basiert auf den Ausführungen von Herriger (2002a, b) und Theunissen & Plaute (2001).
Weitere Informationen finden sich unter
www.empowerment.de.

1. Definition von Empowerment
Empowerment - das ist heute eine Sammelkategorie für alle solchen Arbeitsansätze in der psychosozialen Praxis, die die Menschen zur Entdeckung der eigenen Stärken ermutigen und ihnen Hilfestellungen bei der Aneignung von Selbstbestimmung und Lebensautonomie vermitteln. Ziel der Empowerment-Praxis ist es, die vorhandenen (wenn auch vielfach verschütteten) Fähigkeiten der Adressaten psychosozialer Dienstleistungen zu autonomer Alltagsregie und Lebensorganisation zu kräftigen und Ressourcen freizusetzen, mit deren Hilfe sie die eigenen Lebenswege und Lebensräume selbstbestimmt gestalten können.

Empowerment - auf eine kurze Formel gebracht - ist das Anstiften zur (Wieder-)Aneignung von Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Lebens.

In der Literatur lassen sich zwei Lesarten von Empowerment unterscheiden:
1. Empowerment als Selbstbemächtigung problembetroffener Personen.
Definitionen in diesem ersten Wortsinn betonen die aktive Aneignung von Macht, Kraft, Gestaltungsvermögen im Alltag durch die von Machtlosigkeit und Ohnmacht Betroffenen selbst. Empowerment wird hier als ein Prozess der Selbst-Bemächtigung und der Selbst-Aneignung von Lebenskräften beschrieben: Menschen verlassen das Gehäuse der Abhängigkeit und der Bevormundung. Sie befreien sich in eigener Kraft aus einer Position der Ohnmacht und werden zu aktiv handelnden Akteuren, die ein Mehr an Selbstbestimmung, Autonomie und Lebensregie erstreiten.
2. Empowerment als professionelle Unterstützung von Autonomie und Selbstgestaltung.
Definitionen, die aus der Tradition der professionellen psychosozialen Arbeit entstammen, betonen hingegen die Aspekte der Unterstützung und der Förderung von Selbstbestimmung durch berufliche HelferInnen. Der Blick richtet sich hier also auf die Seite der MitarbeiterInnen psychosozialer Dienste, die Prozesse der (Wieder-)Aneignung von Selbstgestaltungskräften anregen, fördern und unterstützen und Ressourcen für Empowerment-Prozesse bereitstellen.

2. Menschenbild und Wertebasis des Empowerment-Konzeptes
Ausgangspunkt des Empowerment-Konzeptes ist eine deutliche Kritik an dem tradierten Klientenbild, das bis heute in weiten Passagen von einem Defizit-Blickwinkel auf den Menschen geprägt ist.
Das sind Kategorien von Mangel und Unfertigkeit und in Metaphern, Sprachformen und Symbolismen des Defizits ‚verpackt‘.
Die Folge dieses Defizit-Blicks aber ist, dass die vorhandenen Lebensfähigkeiten der Menschen aus dem Blick geraten.
Das Empowerment-Konzept nun bricht mit diesem Blick auf die Schwächen und Abhängigkeiten.

Die Adressaten psychosozialer Dienstleistungen werden in der Rolle von kompetenten Akteuren wahrgenommen, die über das Vermögen verfügen, ihre Lebenssettings in eigener Regie zu gestalten und Lebenssouveränität zu gewinnen. Dieses Vertrauen in die Stärken der Menschen, in produktiver Weise die Belastungen und Zumutungen der alltäglichen Lebenswirklichkeit zu verarbeiten, ist Zentrum und Leitmotiv der „Philosophie der Menschenstärken“.

Dieses Menschenbild, das der Empowerment-Praxis zugrunde liegt, umfasst sechs Bausteine
Die Abkehr vom Defizit-Blickwinkel auf Menschen (mit Lebensschwierigkeiten) und zugleich auch die Abkehr von damit verknüpften Unterstellungen von Hilfebedürftigkeit.
Das Vertrauen in die Stärken und Kompetenzen, die es Menschen möglich machen, ihr Leben auch in kritischen Situationen und biographischen Belastungen erfolgreich zu meistern.
Die Achtung vor der selbstbestimmten Lebensweise, der Selbstverantwortung und dem Eigensinn des Anderen; die Akzeptanz der ‚eigen-sinnigen‘ Lebenswege der Klienten und der Respekt auch vor unkonventionellen Lebensentwürfen.
Der Respekt vor der ‚eigenen‘ Zeit und den ‚eigenen‘ Wegen des Anderen und der Verzicht auf enge Zeithorizonte und standardisierte Hilfepläne.
Der Verzicht auf entmündigende Expertenurteile bei der Definition von Lebensproblemen, Problemlösungen und Lebensperspektiven.
Die Grundorientierung an einer „Rechte-Perspektive“: Menschen mit Lebensschwierigkeiten verfügen - unabhängig von der Schwere ihrer Beeinträchtigung - über ein uneingeschränktes Wahlrecht im Hinblick auf die Gestaltung ihres Lebensalltags.

Menschen sind Träger von unveräußerlichen Freiheitsrechten (das Recht auf freie Selbstbestimmung; rechtliche Gleichheit; Teilhabe an demokratischer Mitbestimmung und sozialer Gerechtigkeit u.a.), die das praxisethische Fundament der psychosozialen Arbeit bilden.
Dieses lässt sich in drei ethischen Grundüberzeugungen zusammenfassen:
(1) Die Wahrung von Selbstbestimmungsrechten und Autonomie:
Menschen haben ein Recht auf Eigen-Sinn, Unterschied und Diversität. Hieraus ergeben sich zwei ethische Verpflichtungen: zum einen ein stetig wachsames parteiliches Eintreten für Mündigkeitsrechte und gegen Eingriffe in das Recht der Adressaten auf Eigenverfügung und Selbstbestimmung; und zum anderen eine sensible selbstreflexive Eingrenzung der eigenen Expertenmacht.
(2) Das Eintreten für soziale Gerechtigkeit:
Dieser zweite Grundwert thematisiert die gesellschaftlichen Strukturen sozialer Ungleichheit. Es ist Ziel der Arbeit, Menschen ein kritisches Bewusstsein für die Webmuster der sozial ungleichen Verteilung von Lebensgütern und gesellschaftlichen Chancen zu vermitteln und sie zu sozialer Aktion und politischer Selbstvertretung anzustiften.
(3) Das Einlösen von Rechten auf demokratische Partizipation:
Empowerment-Prozesse zielen auf die Stärkung der Teilhabe der Bürger an Entscheidungsprozessen, die ihre personale Lebensgestaltung und ihre unmittelbare soziale Lebenswelt betreffen.

3. Methoden des Empowerments
(1) Die Ebene der Einzelhilfe - die Konstruktion lebbarer Lebenszukünfte

Beispiele für eine praktische Umsetzung des Empowerment-Konzeptes auf der Individualebene entstammen überwiegend dem Handlungsfeld der Beratung und der sozialen Einzelhilfe.
Im Rahmen der PSD-Arbeit lässt sich die Beteiligung an Hilfeplanungsprozessen, die Schaffung von Sinnhaftigkeit in therapeutischen Prozessen und Kohärenz in der Biografie, die Unterstützung von Mündigkeit oder ein individuell emanzipatorisches Vorgehen.

Herriger (2002) beschreibt zwei Werkzeuge des Empowerments auf dieser Ebene:
Unterstützungsmanagement: Werkzeug der Empowerment-Arbeit auf der Individualebene ist zunächst einmal das Unterstützungsmanagement. Unterstützungsmanagement (case management) ist nach dem Verständnis von
Wendt (1995; 1999) ein ganzheitliches unterstützendes Arrangieren von Lebensressourcen.
Auf diese Weise konstituiert sich ein grenzübergreifendes Ressourcen-Netzwerk, das in Lebenszeiten der Belastung spürbare Entlastung und Hilfestellung zu geben vermag.
Selbstnarration und Biographiearbeit: Dieser zweite Baustein verknüpft die Empowerment-Arbeit mit der aktuellen Diskussion um "narrative Identitätsarbeit" und "biographisches Erzählen". Grundüberzeugung dieser Debatte, die vor allem in der narrativen Psychologie geführt wird, ist es, daß Menschen Lebenskohärenz, also die sichernde Erfahrung der Sinnhaftigkeit der eigenen Lebensgeschichte, in Selbsterzählungen (Selbstnarrationen) konstruieren. In dem Maße, in dem wir Menschen Lebensereignisse anderen erinnernd erzählen, konstruieren und rekonstruieren wir Lebenssinn.

(2) Die Ebene der Gruppenarbeit - das Stiften von Zusammenhängen
Empowerment ist aber nicht nur Ergebnis eines einzelfallbezogenen Settings von Beratung und Begleitung. In vielen (vielleicht sogar den meisten) Fällen ist Empowerment das Produkt einer ‚konzertierten Aktion' - das gemeinschaftliche Produkt von Menschen also, die sich zusammenfinden, ihre Kräfte bündeln und gemeinsam aus einer Situation der Machtlosigkeit, Resignation und Demoralisierung heraus beginnen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Anschauungsmaterialien für diese eigeninitiierten und dynamisch verlaufenden Gruppenprozesse finden sich in unterschiedlichen Handlungsfeldern: in der Netzwerkarbeit mit Familien-, Freundschafts- und Gleichaltrigen-Systemen; in der Unterstützung von Selbsthilfegruppen; in der Arbeit mit kommunalpolitisch engagierten Bürgerinitiativen. In all diesen Feldern sozialer Aktion sind Empowermentprozesse in sozialer Gemeinschaft eingelagert.
Im Rahmen der Arbeit eines Psychosozialen Dienstes (PSD) lässt sich die Anleitung zur Selbsthilfe oder ein allgemein emanzipatorisches Vorgehen festhalten, das Unterdrückungselemente freizulegen hift. Der PSD kann Gruppen initiieren oder/und begleiten, die Kommunikationsfertigkeiten ausbilden, Mündigkeit und Selbstvertretung unterstützen (z.B. Rollenspiel- und Gesprächsgruppe, Gruppen zur Sexualpädaogik oder mit alten Menschen, Unterstützung von peer-counseling). Hierzu gehören ein lösungsorientiertes Vorgehen und im weitesten Sinne eine konsensfördernde Arbeit. Dies dient dazu, Zusammenhänge zu fördern und Vernetzungen zu schaffen.

(3) Die Ebene der Organisation - das Eröffnen von Räumen der Bürgerbeteiligung
Empowerment auf institutioneller Ebene zielt auf die Öffnung von Verbänden und Dienstleistungsunternehmen für Bürgerbeteiligung und ziviles Engagement. Gefragt ist hier das aktive Einfluß-Nehmen der Bürger auf die Gestaltung sozialer Dienstleistungsprogramme. Empowerment verknüpft sich in dieser Forderung mit der aktuellen Diskussion über "Partizipation", "Kundenorientierung" und "neue Steuerungsmodelle". Hier wie dort - der Ausgangspunkt ist der gleiche: die Erfahrung engagierter Bürger, ‚vor verschlossenen Türen zu stehen'.
Die Aufgabe des PSD kann in der Unterstützung von Beschwerdemöglichkeiten, der Heimbeirätearbeit liegen. Eine besondere Idee ist die Gründung sowie die Federführung einer Projektgruppe im Stiftungsbereich, die Empowermentprozesse initiieren und fördern kann. Darüber hinaus kann Empowerment auch in der Politisierung und Unterstützung von MitarbeiterInnen sein.

(4) Die Ebene der Gemeinde - das Schaffen eines förderlichen Klimas für Selbstorganisation und bürgerschaftliches Engagement
Empowerment auf der Nachbarschafts- und Gemeindeebene schließlich zielt auf die Schaffung eines förderlichen lokalen Klimas für die Selbstorganisation und Partizipation von Menschen. Gemeindliches Empowerment lebt vom erklärten politischen Willen wie auch von der Implementation vielfältiger Programme und Initiativen, in denen Vertreter von Politik, Dienstleistungsbehörden, Verbänden usw. und engagierte Bürger kooperativ und gleichberechtigt Facetten der lokalen Lebensqualität umgestalten. Beispiele für mutmachende Programme der community organization entstammen dem Kontext des "Healthy Cities-Programms" der Weltgesundheitsorganisation: Hier werden in einem Joint Venture und in gemeinsamer Verantwortung von Gesundheitsdienstleistern und engagierten Bürgern Projekte erarbeitet und realisiert.
Hier könnte die Arbeit des PSD in der Unterstützung der people first Gruppe in Bielefeld sein, die Kooperation mit dem Koordinator für Behinderte der Stadt Bielefeld und der Integrativen Beratungs- und Begegnungsstätte - Cafe 3b sowie allgemein die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements von behinderten Menschen aus dem Stiftungsbereich sein.


4. Evaluation: Ergebnisse erfolgreicher Empowerment-Prozesse
Empowerment - psychologisch gefasst
:
Psychologisches Empowerment beschreibt die individuellen Niederschläge von Empowerment-Erfahrungen: die Veränderungen in der psychischen Ausstattung der Menschen. Diese Veränderungen sind in der Literatur in unterschiedlichen Begrifflichkeiten gefasst worden. Gemeinsam ist diesen das Bild des Schutzschildes: Menschen - an den Endstationen mutmachender Reisen in die Stärken angekommen - erwerben das Schutzschild einer spezifischen seelischen Widerstandsfähigkeit, das es ihnen in ihrer weiteren Biographie möglich macht, die Bedrohungen und Gefährdungen erneuter Hilflosigkeit abzuwehren.
Besondere Beachtung hat in der Debatte das Konzept von
Antonovsky (1997) gefunden. Psychologisches Empowerment kann im Anschluß an Antonovsky inhaltlich bestimmt werden als die Entwicklung und Bestärkung eines Kohärenzgefühls (sense of coherence) . Das Gefühl der Kohärenz - das ist nach Antonovsky ein identitätssicherndes Gefühl der ‚Lebensganzheit', in dem ein positives Bild der eigenen Handlungsfähigkeit, das sichere Wissen um die Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens und die Gewissheit der Person, Biographie, Alltagsverhältnisse und soziale Umwelt aktiv und eigenbestimmt gestalten zu können, zusammenfließen. Kohärenzsinn umfasst nach Antonovsky folgende drei Komponenten:
die Fähigkeit des Subjektes, die Ereignisse und Verläufe des eigenen Lebens trotz ihrer widersprüchlichen, offenen und kontingenten Struktur in einen (Lebenskontinuität vermittelnden) Ordnungsrahmen zu sortieren und so in einen übergreifenden biographischen Sinnzusammenhang zu stellen - "Verstehbarkeit" (comprehensibility);
das optimistische Vertrauen, die Veränderungen, Herausforderungen und Umbrüche des Alltags mit den verfügbaren personalen und sozialen Ressourcen bewältigen zu können - "Handhabbarkeit" (manageability); und
ein Gefühl der Sinnhaftigkeit und des Lebensgelingens, das sich vor allem dort einstellt, wo es dem Subjekt gelingt, Selbstansprüche und Identitätsziele in Lebensprojekte zu übersetzen, die ihm die Erfahrung authentischer (Selbst-)Wertschätzung vermitteln - "Sinnhaftigkeit" (meaningfulness).

Empowerment - sozial gefasst:
Soziales (oder auch: politisches) Empowerment weist über die Ebene der Selbstveränderung hinaus. In den Mittelpunkt rücken hier die im öffentlichen Raum sichtbaren und in handfesten Veränderungen der Lebenswelt messbaren Effekte des sozialen Engagements: die Aktionen bürgerschaftlicher Einmischung, das öffentliche Eintreten der Bürger für eine Teilhabe an Prozessen der politischen Willensbildung, ihre solidarische Gemeinschaft in Selbsthilfe-Gruppen und Bürgerbewegungen.

 

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